Die nachhaltige Energiegewinnung war jahrelang mehr oder weniger stabil. Windparks und Solarkraftwerke nahmen nur kleine Flächen ein, so dass Inspektionen und Reparaturen einfach und schnell durchgeführt werden konnten.
Mit dem starken Wachstum der erneuerbaren Energien hat sich dies aber grundlegend verändert. Die heutigen Windparks in Deutschland erstrecken sich über mehrere Quadratkilometer, je nachdem, wie viele Windkraftanlagen installiert sind und wie viel Platz zwischen ihnen benötigt wird. Diese neue Realität braucht Echtzeitdaten der Anlagen, denn nur so können teuren Stromausfällen und Ausfallzeiten vorgebeugt und die Zukunft der erneuerbaren Energien gesichert werden.
Digital Twins werden aus Echtzeitdaten aktualisiert. Sie können Unternehmen dabei helfen, ihre Anlagen zu verwalten, selbst wenn diese über große Gebiete verteilt sind.
In diesem Artikel behandeln wir die möglichen Einsatzgebiete von Digital Twins. Wir stellen Beispiele von Digitalen Zwillingen vor und erkunden, wie diese innovative Technologie für erneuerbare Energien die Energie der Zukunft mitgestaltet.
Was ist ein Digital Twin?
In einem früheren Artikel über Digitale Zwillinge in verschiedenen Branchen haben wir bereits erklärt, dass Digital Twins digitale Abbilder von physischen Objekten oder Systemen sind. Um einen Digital Twin zu erstellen, sammeln Entwickler Daten von Sensoren, Kameras und anderen Quellen, die diese physischen Objekte überwachen. Danach geben sie die Daten in die Software des Digitalen Zwillings ein, die auf dieser Basis ein virtuelles Modell des Objekts erstellt. Dieses virtuelle Modell bildet das Verhalten und die Eigenschaften des physischen Objekts genau ab.
Im Bereich der nachhaltigen Energieerzeugung funktionieren Digital Twins auf drei Komplexitätsstufen:
- Auf dem Basislevel sammeln Digital Twins Daten über physische Objekte für die zukünftige Nutzung. Zum Beispiel sammeln digitale Kopien von Solarzellen Daten über ihre Leistung und ihren Betriebszustand. Nach der Analyse der Daten können Ingenieure die Erkenntnisse nutzen, um die zu erwartende Leistung des Solarparks vorherzusagen.
- Auf der mittleren Ebene sind Digitale Zwillinge in der Lage, Was-wäre-wenn-Simulationen zu erstellen. Unternehmen können mit verschiedenen Betriebseinstellungen experimentieren, um die beste Betriebskonfiguration zu ermitteln. Der Digital Twin einer Windkraftanlage kann zum Beispiel ein Was-wäre-wenn-Szenario für starke Orkanwinde simulieren. Die Betreiber bekommen so einen Einblick, wie sich die Anlage verhalten würde und können die Anlage dementsprechend anpassen.
- Auf dem fortgeschrittenen Level entfaltet die KI für erneuerbare Energien ihr volles Potenzial: Digitale Zwillinge sind KI-fähige Systeme, die jede Abweichung im Verhalten der Anlage erkennen und sogar den Entscheidungsprozess unterstützen, wie Fehler behoben werden sollten. Eine virtuelle Kopie eines Wasserkraftwerks macht es den Betreibern zum Beispiel leicht zu erkennen, ob das Kraftwerk zu viel Wasser pumpt und an seiner Kapazitätsgrenze arbeitet.
Jetzt schauen wir uns drei Anwendungsfälle für Digitale Zwillinge im Bereich der erneuerbaren Energien genauer an. Die spannenden Praxisbeispiele zeigen, was die Technologie der Branche zu bieten hat.
Use Case 1. Digital Twins von Solaranlagen
Wie jede andere Anlage zur Energieversorgung unterliegen auch Solarparks regelmäßigen Inspektionen, um Probleme schnell zu erkennen. Kommen die Inspekteure dafür vor Ort, ist das sehr zeitaufwändig und die Inspektionen können mehrere Wochen dauern. Außerdem sind sie sehr arbeitsintensiv.
Solaranlagen sind komplexe Systeme, die aus Photovoltaikmodulen, Wechselrichtern und Hochspannungsanlagen bestehen. Um sicherzustellen, dass eine Anlage ordnungsgemäß funktioniert und Strom erzeugt, müssen die Ingenieure jedes einzelne Element überprüfen. Sie brauchen dafür spezielle Geräte wie etwa Wärmebildkameras. Diese erkennen Temperaturabweichungen, die die Leistung des Solarparks beeinträchtigen. Nachdem die Ingenieure Daten über das Funktionieren der verschiedenen Teile gesammelt haben, erfassen sie diese auf ihren Tablets. Dieser Prozess ist zeitaufwändig und auch potentiell gesundheitsschädlich, denn oft arbeiten die Ingenieure in der prallen Sonne und unter staubigen Umständen.
Außerdem umfasst ein durchschnittlicher Solarpark in Deutschland eine Fläche von mehreren Tausend Hektar und besteht aus mehr als 10.000 Modulen…
Digital Twins von Solaranlagen sind für die Inspektion und Überwachung des Netzes sehr nützlich. Die digitalen Abbilder helfen den Ingenieuren, Echtzeitdaten über die Leistung der einzelnen Module zu erhalten. Wenn eine Anomalie auftritt, erhalten die Betreiber sofort eine Benachrichtigung. So können sie schnell reagieren und das Problem beheben, bevor es noch schlimmer wird oder sogar zu Ausfällen führt.
Ingenieure können Digitale Zwillinge auch einsetzen, um zu verstehen, wie die Anlagen sowie die verschiedenen Elemente in Zukunft funktionieren werden. Anhand der ermittelten Daten können sie Wartungsarbeiten im Voraus planen. Simulationen können außerdem zeigen, wie sich die Solaranlagen bei extremen Wetterbedingungen verhalten. Für Betreiber von Solarparks sind solche Informationen unglaublich nützlich, denn sie unterstützen sie dabei, das System anzupassen und die Zuverlässigkeit zu erhöhen.
Praxisbeispiel: Digitaler Zwilling senkt Betriebskosten von Solarparks
Mit dem Projekt VR4PV hat das Fraunhofer Institut zusammen mit verschiedenen Industriepartnern erforscht, wie die Wartung der stetig wachsenden Solarparks optimiert und die Betriebskosten gesenkt werden können. Sie erstellten einen Digitalen Zwilling bzw. ein digitales Abbild von einer standardisierten Photovoltaikanlage und gingen sogar noch einen Schritt weiter: Mit Hilfe von Drohnen- und Detailaufnahmen sowie einer KI-basierten Auswertung wurde die Photovoltaikanlage als 3D-Modell in einer VR-Umgebung wiedergegeben.
Der Digitale Zwilling des Fraunhofer Instituts bewies sowohl im Betrieb als auch im Service großes Potential. Im Betrieb konnten technische Probleme schneller erfasst und Ertragsverluste reduziert werden. Im Service bewies sich der Digital Twin als eine ausgezeichnete Grundlage für eine zuverlässige Inbetriebnahme und für die kontinuierliche Weiterentwicklung von Betriebsführungs- und Wartungsstrategien.
Vorteile:
- Der Digitale Zwilling ermöglicht eine kostengünstigere Betriebsführung
- Technische Probleme werden schneller erfasst
- Die Stromgestehungskosten für die Photovoltaik werden gesenkt
Use Case 2. Mehr Windenergie dank Digital Twins
Sehr starke Winde bedeuten ein Risiko für Windparks. Wenn die Anlagen erschüttert werden, kann dies zu Ermüdung, Verschleiß und strukturellen Schäden führen.
Die meisten Windkraftanlagen haben eingebaute Mechanismen, die die Schäden bei starkem Wind minimieren. Der Neigungsgrad und die Geschwindigkeit der Rotorblätter können zum Beispiel automatisch angepasst werden oder das System kann sich automatisch abschalten. Diese Mechanismen sind jedoch nicht unbedingt effektiv, denn sie reagieren nicht immer schnell genug auf die aktuellen Wetterbedingungen. Die Betreiber müssen also sicherstellen, dass die Turbinen stark genug sind, um starkem Wind standzuhalten.
Digitale Zwillinge für Windparks können dabei helfen. Indem sie simulieren, wie die Anlagen unter verschiedenen Wetterbedingungen funktionieren, können die Betreiber passende Strategien für Notfälle entwickeln. Schäden werden so minimiert und es wird eine reibungslose Stromversorgung sichergestellt.
Digitale Zwillinge helfen außerdem dabei, mehr grüne Energie zu erzeugen und so die nachhaltige Energiegewinnung zu fördern. Wie das genau funktioniert, erklären wir im nächsten Praxisbeispiel.
Praxisbeispiel: Größere Windräder stabilisieren das Netz
Eine große Herausforderung im Bereich der erneuerbaren Energien ist die Verfügbarkeit. Ganz einfach gesagt: Es gibt nur so viel Energie aus Sonne oder Wind, wie es Sonne oder Wind gibt. In der Praxis bedeutet dies, dass es zu gewissen Jahres- oder Tageszeiten Engpässe in der Stromversorgung gibt.
Die Universität Oldenburg hat jetzt einen Digitalen Zwilling einer 12-Megawatt-Offshore-Windturbine entwickelt, der dieses Problem lösen kann. Ausgangspunkt ist die Tatsache, dass Rotorblätter eine wichtige Rolle bei der Erzeugung von Windenergie spielen.
Der Digital Twin testet Rotorblätter bis zu 200 Meter Länge mit verschiedener Dicke und unterschiedlichen Ausrichtungen. So können Windräder entworfen und gebaut werden, die auch bei niedrigen und mittleren Windgeschwindigkeiten (viel) Windenergie erzeugen.
Auch die Drehgeschwindigkeit der Windräder kann dank des Digitalen Zwillings optimiert werden. Bei starken oder mittleren Geschwindigkeiten können die Räder zum Beispiel so konstruiert werden, dass sie sich automatisch etwas vom Wind wegdrehen. Hierdurch werden die Randbereiche weniger belastet, was zu besseren Leistungen führt.
Vorteile:
- Die Rotorblätter werden optimal designt und können auch bei wenig Wind grüne Energie erzeugen
- Stromengpässe können verringert werden
- Das Stromnetz wird stabilisiert
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Use Case 3. Digitale Zwillinge für Wasserkraftwerke
Die Wasserkraftwerke in Deutschland sowie in anderen europäischen Ländern sind relativ alt. Die ältesten Kraftwerke stammen aus dem 19. Jahrhundert, wie zum Beispiel das Maxwerk in München (1895) oder das Kraftwerk Fachbach an der Lahn (1899).
Mit zunehmender Nutzungsdauer treten Verschleiß und Abnutzung auf. Mechanische Komponenten sind zunehmend Betriebsbelastungen ausgesetzt: Sie arbeiten nicht mehr so effizient und können im ungünstigsten Moment ausfallen, was unter anderem zu finanziellen Einbußen führt.
Außerdem sind wir mehr denn je auf erneuerbare Energien angewiesen. Um die Stabilität des Netzes zu gewährleisten, sind zuverlässige Wasserkraftwerke sehr wichtig.
Unternehmen sollten deshalb intelligente Modernisierungsmaßnahmen durchführen und ihre Kraftwerke auf den neuesten Stand bringen. Digitale Zwillinge können dabei sehr hilfreich sein. Sie unterstützen Ingenieure bei der vorausschauenden Wartung und dabei, den Austausch von Komponenten zu planen.
Digitale Zwillinge können außerdem simulieren, wie sich die verschiedenen Komponenten in Zukunft verhalten werden, indem sie die innere Struktur des Kraftwerks scannen, Daten über den täglichen Betrieb sammeln und Vorhersagen treffen. Mit Digital Twins können Ingenieure also feststellen, wo Probleme voraussichtlich auftreten werden und wo sie behoben werden müssen.
Praxisbeispiel: Ein hoch-digitales Wasserkraftwerk in der Steiermark
Das Wasserkraftwerk im österreichischen Rabenstein an der Mur stammt aus dem Jahr 1987 und versorgt knapp 15.000 Haushalte mit grünem Strom.
In Sachen Digitalisierung ist es ein echtes Vorzeigeprojekt. Wo früher aufwändige Trockenlegungen notwendig waren, um Inspektionen an Turbinen und Schleusen durchführen zu können, kommt heute ein Roboter zum Einsatz. Auch Sensoren, Sonare, Detektoren und intelligente Prognose- und Monitoringsysteme werden verwendet.
Jetzt hat das Wasserkraftwerk auch einen Digitalen Zwilling der Anlage erstellt. Hier laufen alle Daten der verschiedenen Systeme zusammen. So können die digitalen Anwendungen evaluiert und die besten Technologien für das Wasserkraftwerk gefunden werden. Außerdem können Verschleißerscheinungen und Lebensdauer von Maschinenteilen laufend kontrolliert werden.
Vorteile:
- Die Effizienz und Zuverlässigkeit des Wasserkraftwerks werden weiter erhöht
- Kraftwerksausfälle können minimiert werden
- Die Versorgungssicherheit wird maximiert
Zusammengefasst
Unternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien setzen bei der digitalen Transformation zunehmend auf Digitale Zwillinge. Digitale Zwillinge bieten einen umfassenden Echtzeit-Einblick in die Anlagen. Sie ermöglichen den Betreibern eine vorausschauende Wartung, vermeiden Ausfallzeiten und senken die Kosten. Das alles führt zu mehr Effizienz und trägt außerdem zur Stabilisierung des Netzes bei.
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