Blog über das Internet of Things | Softeq

Nutzererlebnis: 6 Tipps bei der Entwicklung von Medizingeräten

Geschrieben von Daria Titova | 15.02.2021 08:00:52

Digitale Produkte und Dienste werden immer qualitativer. Woran das liegt? Einerseits an innovativen Technologien, andererseits an nutzerzentrierter Produktentwicklung. Das umfassende Nutzererlebnis (User Experience, UX) eines Produkts gilt als entscheidender Erfolgsfaktor. IoT-Medizingeräte sind keine Ausnahme. Vor allem weil Fehler, die bei der Bedienung von vernetzten medizinischen Geräten entstehen, Patienten schaden können.

Der globale IoT-Markt im Gesundheitswesen wird voraussichtlich von 72,5 Milliarden im Jahr 2020 auf 188,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 wachsen, so Reportlinker. Mit anderen Worten: Immer mehr verschiedene Geräte werden produziert werden. Und um sich von der Konkurrenz abzuheben, sollte man, bei der Entwicklung der Produkte, auf die Benutzerfreundlichkeit  achten. 

Wie erstellt man ein nutzerfreundliches Produkt?

Das Produkt lebt nicht von der Funktionalität allein

Die Balance zwischen der Funktionalität, der Bedienlogik und dem Design eines Geräts ist enorm wichtig. Es muss intuitiv verständlich sein, welche Taste der Nutzer drücken muss. So wird im Notfall keine wertvolle Zeit verschwendet. Außerdem trägt verbesserte Gebrauchstauglichkeit (Usability) im Kontext medizinischer Behandlungsabläufe zur Fehlervermeidung bei. Um eine nutzerfreundliche Bedienung zu gewährleisten, muss man, während des gesamten Entwicklungsprozesses, die Usability des Produkts  im Auge behalten. Das fordert auch die DIN EN 62366: Nur wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, wird das Gerät als Medizinprodukt zugelassen. 

Auf dem heutigen Markt reicht es nicht mehr, zeit- und budgetgerecht ein richtig funktionierendes Produkt bereitzustellen. Hersteller sollten sich um Nutzer kümmern – der Nutzer ist König. Wie dieses Prinzip in der Praxis umgesetzt wird, sehen wir bei kindgerechten MRT-Scannern von GE Healthcare. Industrie-Designer von GE Healthcare Doug Dietz stand unter Schock, als er einen kleinen Patienten in der Klinik sah, der sich auf einen Scan vorbereitete. Das Kind zitterte vor Angst, während es die monströse Maschine beobachtete. Diese Szene brachte Dietz auf die Idee, die bildgebenden Abteilungen in kleine Themenparks umzuwandeln. Dank des farbenfrohen Designs wird der Scan zu einer Reise mit dem Raumschiff oder zu einem Piratenabenteuer.

Den Nutzern mal über die Schulter schauen

Viele Unternehmen, die Software für das Gesundheitswesen entwickeln, wollen den Markt revolutionieren. Was man dabei nicht vergessen sollte: Sie revolutionieren damit auch das gesamte und bereits etablierte Ökosystem ihrer Kunden. Ihre Kunden  haben ihre gewohnte Art und Weise, Ziele zu erreichen und Herausforderungen zu bewältigen. Wenn Sie eine innovative Lösung vorschlagen möchten, sollten Sie Ihre Zielgruppe verstehen, ihre Wünsche, Anforderungen und Bedürfnisse gut kennen. Denn das ist die Voraussetzung für ein positives Nutzererlebnis.

Eine der effektivsten Methoden, etwas über die Nutzer zu erfahren, ist die sogenannte ethnografische Forschung – Beobachtung der Nutzer in ihrer natürlichen Umgebung. Zu anderen hilfreichen Methoden zählen Co-Creation und Usability-Tests neuer Konzepte. Bei der Co-Creation-Sitzung erarbeiten Stakeholder gemeinsam mit potentiellen Endkunden Ideen zum Produkt. Bei einem Usability-Test beobachtet man, wie der Nutzer typische Aufgaben erledigt. Dadurch wird die Gebrauchstauglichkeit des Produkts getestet und gleichzeitig werden positive Aspekte der Lösung aufgedeckt. 

Aber nicht immer hat man die Möglichkeit, mit den Endnutzern direkt zu interagieren. In diesem Fall können Fachexperten als Stellvertreter fungieren. Sie verfügen über das Domänenwissen Ihrer Zielgruppe und kennen deren Einstellungen. Zwar ist die direkte Interaktion mit den Endnutzern der beste Weg, aber auch der Austausch mit solchen Stellvertretern kann für IoT-Projekte im Gesundheitswesen wichtige Insights liefern.

Wer ist in den Entwicklungsprozess noch involviert?

Eins ist klar: Beim Design von intelligenten Geräten für Krankenhäuser oder den häuslichen Gebrauch ist es von entscheidender Bedeutung, die Endnutzer und ihre Wünsche zu verstehen. Dies ist jedoch nicht die einzige Interessengruppe, auf die der UI-Designer hören sollte.

  • Regulierungsexperten geben Auskunft, welche notwendigen Standards Sie einhalten müssen.
  • Entwickler informieren Sie über die technischen Beschränkungen, die durch die verfügbare Hardware entstehen.
  • Produktmanager fordern bestimmte Funktionen, die aus Sicht der Marktforschung wichtig sind.
Newsletter
 

6 Tipps für besseres Design: Wie das Produkt die Kunden anspricht

Tipp 1: Sorge um den Nutzerkomfort

Nutzerfreundlichkeit hat die oberste Priorität bei der Entwicklung von IoT-Geräten. Achten Sie darauf, dass Nutzer ihren Startbildschirm anpassen können und einen Favoriten-Bereich haben. Für Ärzte, die  immer beschäftigt sind, wäre eine automatische Speicherfunktion hilfreich. Denn sie werden häufig unterbrochen. Wenn es um Medizingeräte geht, lohnt es sich, Optionen für den Datenaustausch zwischen Patient und Arzt sowie zwischen dem medizinischen Personal hinzuzufügen. Um Zeit zu sparen und den Arbeitsablauf zu optimieren, sollte zudem auch die manuelle Dateneingabe minimiert werden. Ein potenzielles Anwendungsszenario: Die Daten Ihres Geräts werden automatisch in die elektronische Gesundheitsakte des Patienten übertragen.

Tipp 2: Emotionen sind gut fürs Geschäft

Menschen sind emotionale Wesen. Etwa die Hälfte der Kundenerfahrung mit einer Marke beruht auf Emotionen. Gefühle wecken nicht nur unsere Neugier auf ein Produkt, sie sorgen auch für die langfristige Markenbindung. Menschen, die sich emotional verbunden fühlen, geben  aufrichtiges Feedback. Somit können Unternehmen ihre Lösungen, Prozesse und Strategien verbessern. Diese Erkenntnisse können Sie sich auch bei der Entwicklung Ihres medizinischen IoT-Geräts zunutze machen.

Um eine emotionale Kundenbindung zu erreichen, können Sie auf psychologische Theorien zurückgreifen. Zum Beispiel können Sie die Maslowsche Bedürfnispyramide einsetzen. Dieses Motivationsmodell ordnet die menschlichen Bedürfnisse in einer Hierarchie an. Die Basis bilden physiologische Grundbedürfnisse, die die Menschen vorrangig befriedigen müssen: Nahrung, Wasser, Schlaf usw. Darauf folgt das Bedürfnis nach Sicherheit. Hierzu zählen ein Zuhause, Arbeit, ein sicheres Einkommen. Die nächste Stufe bilden die sozialen Bedürfnisse, u. a.  Partnerschaft, Freundschaften, Zugehörigkeit. Weiter oben liegen Individualbedürfnisse wie Anerkennung, Ansehen, Macht, Erfolg und Freiheit. An der Spitze der Pyramide steht das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Apple ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das erfolgreich alle fünf Bedürfnisse in seinen Produkten anspricht.

Wie erkennen Sie, dass Ihr Produkt Emotionen der Kunden anspricht? Hier sind Moodboards hilfreich. Sie präsentieren Designelemente wie Icons, Bilder und Text in Form einer digitalen oder physischen Collage. Dabei verfolgen und analysieren Sie Emotionen, Eindrücke und Reaktionen von Stakeholdern und/oder Kunden.

Tipp 3: Der Wow-Effekt steckt im Detail

Auch wenn Ihr IoT-Medizingerät mehrere Probleme löst, ist es am besten, das Gesamtbild mit allen Einzelheiten zu betrachten. Was sind die kleinen Bedürfnisse innerhalb des größeren Bedürfnisparadigmas?

Wenn Sie diese kleinen Bedürfnisse erfüllen, werden Sie plötzlich einen Wow-Faktor erzeugen, mit dem sich die Nutzer einfach anfreunden können, und es wird etwas sein, was die Konkurrenz nicht hat... die Nutzer werden sich zu dieser Lösung hingezogen fühlen, die etwas anderes bietet. Tom Kramer, Präsident und CEO, Kablooe Design

Tipp 4: Preisgekrönte IoT-Medizingeräte als Inspiration

Die MDEA (Medical Design Excellence Awards) sind die angesehenste Preisverleihung auf dem Gebiet der Medizintechnik. Es gibt viele Beispiele für IoT-Medizinprodukte, die mit diesem Preis ausgezeichnet wurden. Lassen Sie sich von ihrer Erfahrung inspirieren: 

Gliedmaßen-Scanner von Planmed Verity. Der Scanner erkennt feine Frakturlinien in den Extremitäten und bietet gleichzeitig eine schnelle 3D-Bildgebung mit hoher Auflösung. Die individuell anpassbaren Benutzeroberflächen und der effiziente All-in-One-Workflow sorgen für Beruhigung der Patienten und schaffen das Gefühl der Anwesenheit des medizinischen Personals. Die Beweglichkeit des Systems ist ein weiterer Vorteil.

Milchpumpe von Elvie. Die Elvie Pump ist eine leise, kabellose, tragbare Milchpumpe. Man kann sie mit einer App verbinden, um die Milchmenge in Echtzeit zu überwachen, den Abpump-Verlauf für jede Brust nachzuverfolgen und die Pumpe fernzusteuern.

EEG-System von Ceribell. Das Ceribell EEG-System ist für die schnelle Einrichtung durch medizinisches Personal konzipiert. Das EEG-Kopfband ist in 5 Minuten einsatzbereit und passt sich an verschiedene Haartypen und Kopfgrößen an. Echtzeit-Streaming von EEG-Daten an ein sicheres Cloud-Portal ermöglicht es Ärzten, EEG-Daten von überall her zu überprüfen.

Tipp 5: Ein Mockup sagt mehr als tausend Worte

Statt eine Rede oder einen Bericht zu halten, präsentieren Sie Ihren potenziellen Kunden und Investoren Ihr Design lieber in Form eines Mockups. Organisieren Sie mehrere Design-Reviews – am besten nach jeder Etappe (Konzeptentwicklung, Validierung, Verifizierung usw.) Bei solchen Iterationen hat das Publikum die Möglichkeit, alle Bedenken zu äußern. Dadurch bleiben Sie auf dem richtigen Weg oder ändern rechtzeitig Ihre Strategie. In späteren Phasen vermeiden Sie Missverständnisse.

Tipp 6: Trends im Auge behalten

Bei Medizintechnik liegt der Fokus traditionell auf Sicherheit. Aber Nutzer sind durch Smartphones und andere smarte Geräte in privater Nutzung verwöhnt und erwarten auch bei der Bedienung von medizinischen Geräten eine angenehme und einfache Nutzerführung. Mit den gestiegenen Erwartungen an Gebrauchstauglichkeit steigt auch das Risiko, Nutzer zu enttäuschen. Durch bessere UX kann man sich von der Konkurrenz abgrenzen. Um Schritt zu halten, verlieren Sie die aktuellen Design-Trends nicht aus den Augen, zum Beispiel:

  • Neumorphismus (Soft-UI): Dieser moderne Designstil ist ein eher geradliniges, flaches visuelles Design mit Texturelementen. Der starke Kontrast fällt weg. Beim Neumorphismus setzt man vor allem auf helle Farben, wie Beige und Hellgrau. Texturierte Elemente wirken, als wären sie aus Ton geformt. Lichter und Schatten werden ganz geschickt eingesetzt.
  • Navigation durch Sprache: IoT im medizinischen Bereich zielt darauf ab, Fehler zu reduzieren. Die sprachbasierte Interaktion ermöglicht es den Nutzern, freihändig durch die Benutzeroberfläche zu navigieren, und sie minimiert Tippfehler.
  • Aufwendige Mikrointeraktionen: Sie müssen in Ihren medizinischen Geräten keine überflüssigen Animationen verwenden. Sie können zum Beispiel Mikrointeraktionen einsetzen – einfache, animierte Grafiken. Sie stellen eine elegante Möglichkeit dar, den Nutzer durch die Software zu führen und sind gleichzeitig ansprechend und einladend.

Fazit

In Notfällen geht es um Leben und Tod. Besonders dann ist es wichtig, dass Nutzer Medizingeräte fehlerfrei, sicher und schnell bedienen können. Dies erfordert gut durchdachte und intuitiv bedienbare Benutzeroberflächen. Ein Design- und Entwicklungsprozess, der den Nutzer und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, minimiert das Risiko, durch irreführende Hinweise oder missverständliche Designelemente einen Fehler zu begehen.