Wie man dem Chip-Mangel in der Automobilindustrie entgegenwirkt

Hersteller in der Automobilindustrie haben Schwierigkeiten, genügend Chips für ihre Produkte zu bekommen – vom Airbag bis zum Navigationssystem. Dieser globale Mangel an Elektronikteilen ist das Ergebnis mehrerer Faktoren: pandemiebedingte Arbeitsunterbrechungen, erhöhte Nachfrage und gestörte Lieferketten. Für Automobilhersteller hat dies Umsatzverluste zur Folge. Das Beratungsunternehmen AlixPartners erwartet für das erste Quartal 2021 zum Beispiel einen Umsatzverlust von 14 Milliarden US-Dollar und von 61 Milliarden US-Dollar für das gesamte Jahr 2021.

Ursachen für den aktuellen Mangel an Komponenten

Wenn es darum geht, Komponenten auf den neuesten Stand zu bringen, sind Automobilhersteller oft langsam. Denn damit die Sicherheit und die Haltbarkeit der Produkte gewährleistet ist, erfordern die Aktualisierungen komplexe interne Tests.  Es ist schwierig, den Überblick zu behalten und sich auf Änderungen im Automobilmarkt einzustellen. Außerdem ist es schwieriger, unerwartete Nachfrage in diesem Sektor zu befriedigen, als eine weitere Produktionslinie zu starten und mehr Personal einzustellen. 

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie gingen Automobilunternehmen davon aus, dass die Nachfrage nach Autos zurückgehen würde, also reduzierten sie ihre Halbleiterkäufe. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Unterhaltungselektronik, sodass Halbleiterhersteller ihre Produktion umgestellten.

Doch bald sahen Automobilhersteller, dass ihre Annahmen falsch waren: Die Nachfrage nach Autos stieg. Also beschlossen sie, zu ihren ursprünglichen Plänen für das Produktionsvolumen zurückzukehren und versuchten erneut, Chips zu bestellen. Aber die Fertigungslinien waren bereits mit Aufträgen aus der Unterhaltungselektronik ausgelastet. Und die Umstellung auf Automobilkomponenten hätte einen langwierigen und kostspieligen Prozess der Revalidierung von Teilen erfordert. Erschwerend kam hinzu, dass die Preise für viele Komponenten um 5 bis 10 % gestiegen waren.

Chip-Knappheit kann eine große Hürde für Automobilhersteller sein. Auch Startups und Designhäuser können vor ähnlichen Engpässen stehen. Aber sie können sie leichter überwinden. Basierend auf unseren eigenen Erfahrungen geben wir in diesem Artikel nützliche Tipps, wie Entwicklungsunternehmen sich auf diese Herausforderung vorbereiten können. Außerdem finden Sie hier praktische Ratschläge für Automobilhersteller, die sie in großem Maßstab umsetzen können.

Für Entwicklungsunternehmen und Startups: Wie man auch bei einem Mangel an Chips zurechtkommt

Für Startups und Entwicklungsunternehmen, die an der Entwicklung neuer Lösungen arbeiten, ist der Mangel an elektronischen Komponenten nicht sofort entscheidend. Der Designprozess ist langwierig und kann einige Jahre dauern. Selbst wenn einige bestimmte Automobilchips vorübergehend nicht im für die Produktion ausreichenden Volumen auf dem Markt verfügbar sind, können neue Lösungen mit 3-5 Arbeitsmustern dieser Chips entwickelt werden – in der Hoffnung, dass sich die Situation vor der Fertigungsphase verbessert. Einige Muster der Chips sind immer erschwinglich, unabhängig von ihren vorübergehend hohen Kosten. In manchen Situationen ist jedoch das Ersetzen von Chips die beste Option.

Hier ist eine Checkliste, die wir als Entwicklungsdienstleister verwenden, um mit dem Mangel an elektronischen Bauteilen zurechtzukommen und die Versorgung mit Komponenten entsprechend anzupassen:

  • Bauen Sie Ihr Liefernetzwerk aus
    Entwicklungsunternehmen haben in der Regel etablierte Kontakte zu Chip-Herstellern und Chip-Verkäufern, mit denen sie direkt zusammenarbeiten. Mit diesen Kontakten können sie schnell notwendige Produkte für ihre Kunden finden oder bei Bedarf den Hersteller wechseln. Denn der Preis hat für sie keine hohe Priorität.
  • Wenn es Engpässe gibt, entwerfen Sie für den zukünftigen Marktzustand
    Da der Entwicklungsprozess mindestens ein Jahr dauert, können Startups und Entwicklungsunternehmen Lösungen nur mit einigen Chipmustern erstellen. Wenn der Prozess abgeschlossen ist, ist wahrscheinlich auch der Chip-Mangel vorbei, und die für die Herstellung benötigten Chips stehen in ausreichender Menge zur Verfügung.
  • Wenn es keinen Engpass gibt, planen Sie im Voraus, um ihn zu erkennen
    Seien Sie schlau, wenn Sie ein neues Produkt planen und wählen Sie das Chipset direkt nach der BA-Phase aus, ganz am Anfang des Projektes. Dann sollten Sie Teile für die Bevorratung bestellen. Dies sollte weit im Voraus geschehen, am besten noch vor Beginn der Entwicklungsarbeit. Um diese Aufgabe zu lösen, stellen Sie ein Team von Entwicklern ein, die
  • sich mit Chip-Fähigkeiten auskennen,
  • Spezifikationen für das Projekt kennen,
  • Firmware entwickeln und verbundene Apps/Software erstellen können.

Denken Sie daran: Automobilhersteller, die lieber Just-in-time bestellen, müssen sich bei zukünftige Chip-Lieferungen hinten anstellen.


Misserfolgsgeschichte: Was passieren kann, wenn Sie das nicht tun

Stellen Sie sich vor: Ein Produktentwickler hat alle notwendigen integrierten Schaltungen für ein Design. Aber dann versäumt er es, den Bestand für ein einfaches, einzelnes Bauteil zu sichern. Die fehlende Verfügbarkeit eines bestimmten kritischen Kondensators bringt die Produktionslinie zum Stillstand. Und das Ergebnis? Das Bauteil ist nun für 52 Wochen im Rückstand.

  • Initiieren Sie den temporären Austausch von Chips
    Der Austausch von Chips ist die erste und einfachste Lösung für Entwickler: Wählen Sie einfach einen Chip desselben Herstellers, aus derselben Familie, mit einem größeren Speicher als benötigt. Oder wählen Sie einen Chip mit weniger Speicher und verkleinern Sie den Firmware-Code nach Bedarf. Überlegen Sie, die Schaltung so zu gestalten, dass sie für verschiedene Gehäuseformen geeignet ist. Zum Beispiel könnten die Leiterplatte und die Logik entweder für einen 10-Pin-Chip oder einen 16-Pin-Chip ausgelegt sein – je nachdem, welcher verfügbar ist. Dies kann weniger Funktionen bedeuten, ist aber immer noch ausreichend, um ein MVP zu launchen.
  • Entwickeln Sie die Lösung neu
    Der Austausch von Chips erfolgt nicht nur aufgrund von Chip-Mangel. Wenn ein Chip aus der Produktion genommen wird oder veraltet ist, können Spezialisten die Lösung auch neu entwickeln, so dass sie mit einem verfügbaren Chip gepaart werden kann.

Chiptausch in der Designphase ist also durchaus Standard und erfordert technisches Know-how, aber keine großen Budgets. Wenden Sie sich jederzeit an unsere Engineering-Teams, um sich beraten zu lassen oder eine Lösung zu entwickeln.

Für Autohersteller: Wie man den Chip-Engpass überwindet

Die Fertigung kann Millionen von Chips erfordern, und hier wird der weltweite Mangel an elektronischen Komponenten zu einer echten Herausforderung. Berücksichtigen Sie die folgenden praktischen Hinweise, um Lieferzeiten zu reduzieren:

1) Für bestehende Produkte


  • Um den Engpass herum designen
    Es gibt keinen richtigen oder falschen Weg, eine elektrische Schaltung zu entwerfen: Es gibt nur mehr oder weniger effiziente Designs. Kreative Entwickler können Schaltpläne immer modifizieren, um das Fehlen einer kritischen Komponente zu umgehen. Hauptsache ist die Balance zwischen Kosten und Design-Effizienz. Zum Beispiel können selbst analoge Schaltungen Aufgaben einiger einfacher Mikrochips erfüllen, aber sie sind viel weniger kompakt. Je kleiner der Chip ist, desto teurer ist er.
  • Optionen offenhalten
    Genauso wie Entwicklungsunternehmen und Startups können auch Automobilhersteller in Situationen geraten, in denen kein geeignetes Chip-Muster verfügbar ist und ein Chip-Ersatz notwendig wird. In diesem Fall sollte ein Hersteller Chips aus der gleichen Produktionscharge mit kleinerer oder höherer Leistungskapazität wählen, die für das Entwicklungsstadium geeignet sind. Bei richtigem Design kann das Gerät funktionieren, aber mit weniger Funktionen. Es ist immer besser, ein Produkt mit weniger Funktionen auszuliefern als gar kein Produkt.

2) Sicherheitstipps


  • Grauzonen vermeiden
    Der graue Markt besteht aus inoffiziellen Kanälen und Lieferanten, die ein elektronisches Bauteil zum Weiterverkauf auf dem „Spot“-Markt zu deutlich höheren Preisen einkaufen. Viele handeln gesetzeskonform, aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie Komponenten von Verkäufern des grauen Marktes beziehen. Dies kann eine praktikable Option sein, wenn es sich um eine kleinere Auflage, weniger preisempfindliche Produkte oder Produkte mit breiter Qualitätstoleranz handelt. Der graue Markt ist jedoch bekannt für fehlende Chargen- und Qualitätskontrollen und sogar für die Beimischung von gefälschten Chips minderer Qualität und geringerer Toleranzbestimmungen.
  • Gefahrenzonen vermeiden
    Gefälschte Chips können als Angriffsvektor für Cyber-Attacken dienen. Solche kompromittierten Chips sind ein ernstes Problem für die Halbleiter-, Automobil- und die Unterhaltungselektronikindustrie. Zum Beispiel könnte ein gefälschter Chip in einem Tank Informationen über die Fracht an Kontrahenten weitergeben. Ein manipulierter Code in einem gefälschten Halbleiter könnte die Luftzufuhr eines Flugzeugs lahmlegen. Ein gefälschter Chip könnte verwendet werden, um ein Auto in einer Ransomware-Attacke außer Betrieb zu setzen. Mehr zu diesem Thema finden Sie hier.
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3) Kontinuierliche Versorgung


  • Auf Lieferbedingungen achten
    Die meisten Chip-Lieferanten änderten ihre Verkaufsbedingungen: Anstelle der typischen 30- oder 45-tägigen Fristen gingen sie zu 90-tägigen Stornierungsfristen über. Berücksichtigen Sie diesen Punkt, wenn Sie darüber nachdenken, Bestellungen bei verschiedenen Lieferanten doppelt oder dreifach zu buchen. Es könnte sein, dass Sie irgendwann viel mehr Bestand haben, als Sie benötigen.
  • An Programmen für Vorzugskunden teilnehmen
    Halbleiterunternehmen wie Microchip bieten Preferred Customer Programs an, um Lieferungen über sechs Monate hinaus zu garantieren. Diese Vorzugsprogramme erfordern eine langfristige Bindung an den Lieferanten – oft ein Jahr oder länger.

Fazit

Da die Herstellung moderner Autos von Hunderten von Computerchips abhängt, sollte die Automobilindustrie über flexible und agile Lieferketten verfügen. Dies hilft dabei, unerwartete Änderungen bei Nachfrage und Angebot zu bewältigen und die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen.